Polizei, Caritas und Anwohner sind gegen Bordellschließung

FDP-Fraktionsvorsitzender Oechsner sieht „keinen Handlungsdruck“ für einen neuen Bebauungsplan für das Leonhardsviertel

„Perspektiven für unsere Stadtmitte!“ Mit diesem plakativen Satz auf der Videowand im großen Sitzungssaal des Rathauses wurden die handverlesenen Bürger zur Informationsveranstaltung der Stadt zum Leonhardsviertel begrüßt.

Nicht wenige, darunter auch der Gastronom Heinrich Huth, dachten: Es wäre besser, diesen Begrüßungssatz mit einem Fragezeichen enden zu lassen. „Dieser neue Bebauungsplan fürs Leonhardsviertel ist totaler Mist“, ereiferte sich der Wirt der Jakobstube, „hier gibt es nur Verbote, keine Visionen.“

Tatsächlich präsentierte die Stadt unter der Regie von Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle lediglich Meinungen, die sich für ein Ausknipsen des Rotlichts im Viertel stark machten. In diesem Sinne begann der stellvertretende Leiter des Ordnungsamtes, Dr. Stadler, seinen Vortrag mit der Frage: „Sollen wir Prostitution im Leonhardsviertel zulassen oder verbieten. Das ist die Frage an den Gemeinderat.“

Zur Entscheidungshilfe ließ die Stadt Experten sprechen. Darunter den Polizei-Revierleiter Jens Rügner. Nach dessen Einschätzung ist die „Belastung“ für ein Quartier in der Innenstadt „nicht unüblich“. Ja, sie sei zu einem gewissen Grade sogar „normal“.

Keine verlässliche Antwort konnte Rügner auf die Frage geben: Wird ohne Prostitution im Viertel alles besser? „Ich kann nicht sagen, wir sich die Sicherheitslage entwickelt, wenn die Bordelle weg wären.“

Zu einer ähnlichen Bewertung kam Kriminaldirektor Swen Eckloff, stellvertretender Leiter Kriminalpolizedirektion: „Von den Bordellen gehen wenig Probleme aus.“ Straftaten gingen hauptsächlich von Wohnungsprostitution aus. Also jener (teilweise illegalen Form), in die sich die Prostitution nach Meinung der Experten hinverlagern würde, sollte der neue Bebauungsplan samt seiner gewünschten Wirkung auf die Bordelle vom Gemeinderat beschlossen werden. Eckloff sieht in der Schließung der Bordelle „eine höhere Gefahr für die Sicherheitslage“: „Die Frauen haben dort keinen Schutz.“

Selbst der stellvertretende Leiter des Gesundheitsamtes, Martin Priwitzer, meinte: „Frauen sind leichter auffindbar, wenn sie in Laufhäusern arbeiten.“ Dies ist auch für die zahlreichen Hilfsorganisationen im Viertel das entscheidende Argument gegen den geplanten Bebauungsplan, wie es eine Vertreterin der Caritas formulierte: Im Dunkel der Wohnungsprostitution „werden wir die Frauen schlecht erreichen.“

Die größte Frage des Abends blieb indes unbeantwortet: Wie denken die Frauen und Männer, die im Viertel Sexleistungen anbieten, über das Thema. „Warum ist heute keine Frau anwesend“, fragte eine Teilnehmerin und legte sofort nach: „Wurden denn Einladungen auch mehrsprachig versendet?“ Antwort Veronika Kienzle: „Die Amtssprache ist deutsch.“ Mit dieser Einlassung verstärkte die Bezirksvorsteherin die Kritik, der Hilfsorganisationen: Wenn es jetzt schon schwer gelinge, die Prostituierten zu erreichen, wie soll es dann gelingen, wenn das Viertel von der sichtbaren Prostitution gesäubert wurde?

FDP Stadtrat Eric Neumann im Gespräch mit der früheren SWR-Redakteurin Martina Klein

An dieser Fragestellung Erreichbarkeit/Auffindbarkeit versuchte sich Martin Priwitzer vom Gesundheitsamt: Es gebe eine Veränderung der Situation bereits vor der Corona-Pandemie, die Verlagerung der Anbahnung habe sich ins Internet, verlagert. Es gebe eine höhere Fluktuation der Prostituierten durch regelmäßige Wechsel/Rotation in andere Städte. Und man verzeichne eine Zunahme der Prostitution in angemieteten Wohnungen und Pensionen.

Über Anmeldung nach Prostituiertenschutzgesetz werden 60 Prozent der Frauen außerhalb institutionalisierter Prostitution erreicht. Die übrigen 40 Prozent gehen Prostitution in Wohnungen oder Escort nach. Bedeutet: Sollte die sichtbare Prostitution im Viertel ins Dunkel abwandern müssen, wird es immens schwer, sich um Leib und Seele der Prostituierten zu kümmern. Fazit Priwitzer: „Die Frauen sind leichter auffindbar, wenn sie in Laufhäusern arbeiten.“

Soweit die Fakten aus polizeilicher, medizinischer und karitativer Sicht. Aber wie stehen die Anwohner und Gewerbetreibenden zu den Plänen der Stadt? Auch hier gab es ein eindeutiges Votum, das sich folgendermaßen Luft verschaffte: „Wir finden an den Vorschlägen der Stadt mehr Störendes als an der Prostitution“, „Es gibt keine positiven Visionen“, „So schafft man Raum für Spekulanten“.

Bleibt die große Frage: Warum das Ganze? Das fragte auch der direkt betroffene Bordellbetreiber John Heer – und wurde zunächst von der Moderatorin des Abends, die sich mehr ihres Auftraggebers als der Neutralität verpflichtet fühlte, mundtot gemacht.

Ganz zuletzt kam Heer doch zu seinem Recht. „Warum braucht es überhaupt einen neuen Bebauungsplan? Warum reicht der alte nicht mehr aus?“ Denn seit 2010 sei es mit der durchaus scharfen Klinge des bestehenden Bebauungsplans zu sieben Betriebsschließungen im Viertel gekommen. Fazit Heer: „Es können also auf Grundlage des bestehenden Bebauungsplans keine neuen Betriebe eröffnet werden, sehr wohl aber alte geschlossen werden.“

In der Abwägung aller Argumente fasste daher FDP-Fraktionsvorsitzender Matthias Oechsner die Lage einfach, aber prägnant zusammen: „Es gibt keinen Handlungsdruck für einen neuen Bebauungsplan.“

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