„Die Bürokratie blockiert die eigentliche Arbeit“

Im Interview mit FDP-Stadtrat Eric Neumann berichtet Monika Pandikow, die Leiterin zweier Einrichtungen des SOS Kinderdorf e.V., über die große Belastung der Kitas durch die Bürokratie. Sie beschreibt, was für ein optimales Arbeiten nötig wäre und macht konkrete Verbesserungsvorschläge. Auch die Arbeit der Stadt Stuttgart bewertet sie – und zwar ausdrücklich lobend. 

Wir haben ja umfangreiche Probleme in der Kinderbetreuung. Aber heute wollen wir explizit über das Thema Bürokratie in Kitas sprechen. Wie viel Aufwand haben sie in ihrem Betrieb im SOS Kinderdorf mit Verwaltung und Bürokratie?

Mittlerweile macht es einen beträchtlichen Anteil aus, bürokratische Vorgaben zu erfüllen. Wir haben glücklicherweise den Träger im Hintergrund, der es möglich macht, eine Verwaltungskraft zu beschäftigen. Dieser Stellenanteil erlaubt es zudem, die Kitaleitung vollständig freizustellen. Das ist normalerweise nicht komplett üblich.

Können Sie das konkreter machen?. 

Wir haben ja eine Kita mit 70 Ganztagesbetreuungsplätzen und von daher ist es so, dass relativ viel von dem, was an formalen Verwaltungstätigkeiten anfällt, einfach dort angesiedelt ist. Das heißt für unser pädagogisches Personal, dass sie zwar die Entwicklungsdokumentation führen müssen, aber dass ansonsten  wenig an bürokratischen Anfoderungen beim pädagogischen Personal landet. 

Das heißt aber auch, dass es in anderen Kitas durchaus sein kann, dass genau diese Tätigkeiten dann beim pädagogischen Personal angesiedelt sind und dort entsprechend mehr Aufwand verursacht. Kurz: Die Bürokratie blockiert die eigentliche Arbeit.

Genau. Anteilig überwiegend bei der Kitaleitung – natürlich immer und teilweise auch beim pädagogischen Personal. Das ist je nach Einrichtung unterschiedlich.

Woran liegt es, dass der bürokratische Aufwand so hoch ist?

Zum einen an einem großen Regelwerk. Zum anderen an einem dicken Stapel an Aufnahmeunterlagen, den die Eltern auch vor der Aufnahme ihres Kindes durchlesen und unterzeichnen müssen. Bis hin zu Detailregelungen, dass wir befugt werden, dass die Kinder mit Sonnencreme eingecremt werden dürfen. Oder, dass wir überhaupt einen Insektenstachel oder einen Spreißel aus dem Finger ziehen dürfen.

Sie scherzen.

Nein, dass alles müssen wir von den Eltern absegnen lassen müssen – das sind gesetzliche Rahmenvorgaben.

Verstehe ich richtig, dass sie sich tatsächlich so kleinteilig Genehmigungen von Eltern einholen müssen?

Genau! Da sind extra Blätter in den Aufnahmeunterlagen, die wir akribisch mit den Eltern durchgehen müssen, weil nicht alle Eltern diese Form von Sprache verstehen, die wir verwenden müssen. Nur so ist genau festgelegt, was hinterher vereinbart ist. Der Hintergrund ist natürlich, dass so die körperliche Unversehrtheit der Kinder gewährleistet ist. Da gibt es gesetzliche Vorgaben und auch um Kinderrechte zu gewährleisten. Andererseits ist es an dieser Stelle eben sehr, sehr kleinteilig geregelt.

Welche Form würde Kindeswohl und Pragmatismus vereinen?

Da würden wir uns wünschen, dass einfach auch der Wille des Kindes mehr miteinbezogen wird. Wir müssen das ein bisschen entkomplizieren. Soll heißen, unkomplizierter formulieren. Anders runterbrechen und vielleicht sogar landeseinheitlich verfassen. Alles ein bisschen schlanker machen, als das, was wir jetzt gerade haben.

Was gibt es noch für Bürokratiemonster in ihrem Arbeitsalltag?

Nehmen wir das Beispiel Sprach-Kita. Dieses Bundesprogramm ist gerade ausgelaufen. Das Ganze ist eine gute Geschichte. Aber dieses Programm ist genau in dem Moment ausgelaufen, als immer mehr Menschen mit Fluchthintergrund zugezogen sind und wir die Sprachthematik nochmal verschärft hatten.

Und jetzt?

Jetzt gibt es glücklicherweise eine Landesförderung. Allerdings ist die Landesantragsstellung ganz anders aufgestellt, als die beim Bund. Das heißt, wir müssen uns jetzt wieder neu einarbeiten in die Formulare des Landes, wir müssen wieder andere Parameter angeben, das ist ein anderes Antragsverfahren und ein anderes Abrechnungs- und Berichtsverfahren.

Gäbe es einen Ausweg?

Ja. Wir wünschen uns, dass solche Dinge gleichgemacht werden. Wenn es doch schon ein Antragsverfahren auf Bundesebene gibt, wieso geht es nicht fürs Land, das zu übernehmen? Und wieso kann man es nicht sofort einheitlich machen? Das wäre die größere Lösung. 

Was wünschen Sie sich noch?

Wir würden uns eigentlich wünschen, dass wir nicht über zusätzliche Projektantragstellungen immer unseren Kita-Alltag finanziell auffüttern müssen. Sondern dass es mitgedacht wird in der Regelfinanzierung von Kita und möglicherweise über ein einfaches Modul, Sprachförderung, wo wir aber nicht umfängliche Anträge machen müssen und wo wir eben nicht jedes Jahr wieder Abrechnungsmodalitäten in diesem Umfang haben. Dass wir Nachweise erbringen müssen, das ist klar und kein Thema. Aber es muss alles irgendwie ein bisschen überschaubarer sein.

Und Standardisierter.

Und standardisierter, beziehungsweise eben im Gesamten gedacht. Weil wir viele Projekte haben, die wir drumherum noch beantragen, um besondere Dinge finanzieren zu können. Das alles zu vereinfachen wäre prima. 

Wie bewerten Sie die Arbeit der Stadt?

Die Schritte, die die Stadt Stuttgart in Richtung Inklusion in Kita unternimmt, sind aus unserer Sicht absolut richtig. Das aktuelle Modellprojekt „Kita S plus – eine Kita für alle“bietet,  genau die vereinfachten Zugänge, umnotwenige zusätzliche Unterstützung für alle möglich zu machen. In diesem Rahmen wurde auch die Zipstelleeingerichtet . Sie sorgt dafür, dass die Eltern einen Ansprechpartner haben und nicht von Amt zu Amt rennen müssen.

„Kita S-Plus“  bedeutet also ein Modell, mit Leistungen in einem Guss?  

Genau Eine Personalstelle wird zusätzlich finanziert, die für die Inklusions-Kinder zuständig ist. Und wir müssen hier nicht zusätzlich Personal suchen, wenn ein Kind mit besonderem Unterstützungsbedarf kommt. Stattdessen haben wir diese zusätzliche Fachkraft, die im Team integriert ist. 

Gibt es weitere Vorteile?

Ja, das Berichtswesen ist schlank, die Abrechnung ist überschaubar. Davon würden wir uns  mehr wünschen. Und wir würden uns auch wünschen, dass es mehr mit dieser Inklusion ausgestattete Kitas in der Stadt gibt.   

Wo kann die Stadt noch positiven Einfluss nehmen?

Immer dann, wenn’s um Kita-Finanzierung geht. Es wäre gut, sich drüber Gedanken zu machen, wie man die Regelfinanzierung ausweiten und zusätzliche Module vielleicht vereinfacht hinzufügen kann. Auch der Verwendungsnachweis, den wir jährlich für die Kita Bezuschussung erbringen, ist ein Thema. Es wäre sinnvoll, dies ein bisschen zu straffen.

Das sind schon sehr konkrete Ansätze. Wie sähe aus Ihrer Sicht die perfekte Kita aus?

Wir arbeiten ja mit Familien aus den unterschiedlichsten Lebensumständen. Auch mit Familien, denen es nicht so gut geht. Daher haben wir eine Kindergarten-Sozialarbeit installiert, die über den Träger finanziert wird. Sie unterstützt  Familien bei Anträgen oder Unterstützungsgeschichten, um z.B. den Lebensunterhalt abzusichern oder ergänzende Leistungen zu beantragen. Gleichzeitig bietet sie Beratung an, die über diese finanziellen Dinge hinausgeht. So etwas als Regelangebot einzuführen, wäre sinnvoll. 

Warum?

Weil das einfach Leistungen sind, die eine Erzieherin im Gruppendienst nicht auch noch leisten kann. Das geht über das hinaus, was in ihrem Rahmen möglich ist. Und was dazu kommt, generell, das ist natürlich nochmal ein größerer Wunsch: Gerade Familien in prekären Lebenslagen oder schwierigen Lebenslagen, sind ja oft diejenigen, die ganz viel Anträge stellen müssen. 

Ist das jetzt die Wunsch-Kita?

Das ist jetzt nicht die Wunschkita, wie Sie es jetzt gerne hören wollten, aber das ist so eine Grundlage, damit einfach manches, was gerade noch über Kita oder über andere Angebote unterstützt werden muss, vielleicht mehr zum Selbstläufer wird. 

Okay, das sind teilweise sehr konkrete Lösungsansätze. Manche davon gehen eher in Richtung Bundespolitik?

Nein, auch an den Landtag.

Okay Landes- und Bundespolitik, aber was können wir Lokalpolitiker für die Verbesserung der der Situation tun?

Unsere Probleme artikulieren und weiterzutragen. Ich denke, das ist eine wichtige Funktion von Kommunalpolitik. Sie kann unsere Bedarfe auf Landes- und Bundesebene transportieren.

Das kann ich Ihnen versprechen. Danke für das Gespräch.

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