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Die FDP verliert ihre „große Dame“
Ein Nachruf zum Tode von Corinna Werwigk-Hertneck
Wie kann das sein? So früh, so unerwartet. Diese Frage stellten sich viele Wegbegleiter von Corinna Werwigk-Hertneck, nachdem sie die erschütternde Nachricht ihres Todes vernommen hatten.
Noch vor wenigen Tagen teilte sie mit Freunden die Nachricht über „herrliche Tage in New York City“, und jetzt das. Corinna Werwigk-Hertneck, die „große Dame der Liberalen“ (FDP-Kreisvorsitzende Gabriele Reicht-Gutjahr) ist am Dienstag, 5. September, im Alter von 70 Jahren gestorben. Die Anteilnahme mit der Familie und allen Angehörigen ist groß. Auch alle Parteifreunde in der FDP sind ob des Verlustes in Trauer und tief erschüttert.
„Ich bin immer noch fassungslos, seit ich gestern Nachmittag informiert wurde“, sagt FDP-Stadtrat Armin Serwani, „am Montag kam sie erst aus dem Urlaub. Viele Jahre habe ich mit ihr als meine Stellvertreterin im Kreisverband zusammengearbeitet. Unvergessen sind auch ihre Partys in ihrem Haus mit politischer Prominenz. Darunter Persönlichkeiten wie Gerhardt, Westerwelle, Kinkel, Leutheusser-Schnarrenberger und viele andere mehr. Sie war für mich auch eine gute persönliche Freundin.“
Armin Serwani dürfte vielen aus der Partei und weit darüber hinaus aus dem Herzen sprechen. Corinna Werwigk-Hertneck war vielen Menschen Ratgeberin, Vorbild, Freundin. Wo sie auch wirkte, sie hinterließ prägende Spuren.
Die erfolgreiche Anwältin war von 2002 bis 2004 Justizministerin in Baden-Württemberg und Integrationsbeauftragte der Landesregierung. Sie studierte Rechtswissenschaft in Kiel und Tübingen.
Seit 1981 war sie Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht und Fachanwältin für Erbrecht in Stuttgart. 1996 trat sie bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart an.
Von 2002 bis 2004 war sie Justizministerin und Ausländerbeauftragte des Landes Baden-Württemberg. Ende dieses Jahres beendet sie ihre berufliche Tätigkeit als Rechtsanwältin und wollte sich ganz ihrem Mann und den fünf Enkeln widmen. Kurzum: „Nach 42 Berufsjahren das Leben genießen“, wie sie sagte.
Im Landesverband der Freien Demokraten wirkte sie als stellvertretende Vorsitzende. Im Stuttgarter Gemeinderat hat sie dies in nur drei Jahren geschafft, ehe sie in das Amt der Justizministerin des Landes Baden-Württemberg berufen wurde.
Für die dreijährige Zugehörigkeit zum Gemeinderat verlieh ihr Oberbürgermeister Wolfgang Schuster am 28. November 2002 zum Ausscheiden aus dem Stadtparlament die Erinnerungsmedaille in Bronze und bedankte sich „herzlich für drei gute Jahre im Stuttgarter Gemeinderat, in denen Frau Werwigk-Hertneck die vielfältige Arbeit als Stadträtin mit Engagement begleitet und gestaltet hat“.
Genannt seien unter anderem ihre Wirkungskreise im Verwaltungsausschuss, worüber sie selbst sagte: „Ich startete als Stadträtin gleich mit dem Haushalt. In den ersten Wochen musste man sich durch die ganze Stadt arbeiten, egal aus welchem Sachbereich es kam. Es gab den Doppelhaushalt, und jetzt werden Sie es wieder mit der Haushaltskonsolidierung zu tun haben. Mir war es immer ein Anliegen – und ich hoffe, das wird als Kultur in diesem Gemeinderat weiter gepflegt werden -, dass man bei den Stadtfinanzen in Ruhe Kurs hält. Unserer Stadt geht’s gut, und ihr soll es auch weiter gut gehen.“
Diesen liberalen Geist gepaart mit dem Blick auf das Mögliche brachte sie ebenso im Ausschuss für Umwelt und Technik, SWSG-Aufsichtsrat oder der Stadtplanung ein. „Themen, die unterschiedlich gelebt wurden von mir“, wie sie damals über eine Zeit sagte, in der sie auch politische Niederlagen mit Fassung und Würde trug: „Ich unterlag natürlich auch manchem harten Zielkonflikt und meiner eigenen politischen Vorstellung. Zum Beispiel bei der Entscheidung über die B 312 und/oder der Berufsschulsanierungen oder Festhallen in den Stadtteilen.“
Keine Probleme hatte sie dagegen bei den Fragen zum „Daimler“-Stadion oder dem Kinderbetreuungsausbau. „Aber da war ich leider relativ einsam und ein Rufer in der Wüste“, sagte sie. Aus heutiger Sicht hatte Corinna Werwigk-Hertneck schon vor 20 Jahren einen visionären Blick auf die Dinge. Auch bei Fragen der Gleichberechtigung zeigt: „Ich habe es sehr schön gefunden, an einem Gemeinderat mitzuwirken mit 48 Prozent Frauenanteil. Ich denke, das gibt es bundesweit höchst selten.“
Auch an Humor fehlte es Corinna Werwigk-Hertneck nie. Zum Abschluss ihrer Arbeit im Gemeinderat rief sie den Stadträtinnen und Stadträten augenzwinkernd zu: „Zum Schluss will ich, wie es sich gehört für eine gute Stuttgarter Stadträtin, die ihren Abschied hält, einen alten Rommel-Spruch zitieren: ‘Reden halten und Reden zuhören ist ein wichtiges Mittel zur Vernichtung von Zeit, vor allem von Arbeitszeit. In diesem Sinne gutes Weiterarbeiten!’”
Apropos Weiterarbeiten: Was damals ihren Parteifreunden im Gemeinderat anfangs sicher schwergefallen sein dürfte, geht heute bestimmt allen Wegbegleitern so.
Ohne Corinna Werwigk-Hertneck weiterzumachen, ganz gleich ob in der Partei, der Familie oder jedem anderem ihrer Wirkungskreise fällt schwer. Um nochmal Gabriele Reich-Gutjahr zu zitieren: „Die große Dame der Liberalen fehlt.“
Martin Haar